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Zorn

von Björn Schäfer (Neukirch)

Predigtdatum : 02.03.2008
Lesereihe : ohne Zuordnung
Predigttag im Kirchenjahr : Okuli
Textstelle : Jesaja 54,7-10
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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!

I.

Es regnet. Kalter Nebel durchzieht die Stadt an diesem Montagmorgen. Gerade erst hat die Uhr der Stadtkirche sieben geschlagen, doch schon jetzt herrscht eilige Betriebsamkeit um das Gerichtsgebäude. Eine ganze Stadt, ja eine ganze Region ist auf den Beinen. Lange hatte man auf diesen Tag gewartet, lange hatte man ihn herbeigesehnt.

Die Nebenstraßen stehen voll von Übertragungswagen, die ihre Antennen gen Himmel recken. Vor dem Eingangsportal des Gerichtsgebäudes haben sich Fernsehteams und Fotografen aufgebaut. Vor der Tür selbst hat sich eine lange Schlange gebildet. Alle wollen ihn sehen. Alle wollen ihm in die Augen sehen. Die Luft ist durchzogen von einer Mischung aus Rachegefühlen und Sensationslust und dem Streben nach Gerechtigkeit.

Fast ein Jahr ist es nun schon her, dass man die leblosen Körper von vier Frauen in der Nähe eines Autobahnrastplatzes gefunden hatte. Missbraucht und erwürgt. Ein Verbrechen, dessen Hergang einem bis ins Mark fährt und nach Luft ringen lässt. Ein grausames Verbrechen direkt vor der Haustür. Nach 14 Tagen wurde der Täter gefasst.

Da, ein grüner Polizeibus biegt um die Ecke. Die wartende Menge der Journalisten wird unruhig. Blitzlichtgewitter durchzuckt den diesigen Morgen. Sie bringen den Täter. Eine Jacke haben sie ihm über den Kopf geworfen und transportieren ihn nun durch den Nebeneingang in das Gerichtsgebäude. Die Stimmung unter den Anwesenden ist geladen, die Menge drängt gegen den Zaun, der den Nebeneingang sichert, der den Angeklagten vor dem tobenden Volk sichert.

Liebe Gemeinde,

es gibt Sachen, die treiben uns die Zornesröte ins Gesicht. Wir alle kennen diese Fälle, die regelmäßig durch die Medien gehen. Uns allen stockt dabei der Atem. Wir empfinden Mitleid, Wut und Zorn. Hin und wieder bin ich dabei, wenn Täter vor Gericht den Tathergang schildern. Eiskalte Schauer laufen einem dabei manchmal den Rücken herunter. Ich empfinde Abscheu und Ekel.

Zorn und Wut, das ist in derartigen Extremfällen wohl die einzig logische, die allein menschliche Reaktion. Doch bei unserem Zorn bleibt es nicht. Wir wollen etwas für unseren Zorn haben. Aus Zorn und Entsetzen schreien wir nach Gerechtigkeit, wir schreien nach Strafe.

„Wegschließen, und zwar für immer!“, so reagierte vor noch nicht allzu langer Zeit unser Altkanzler auf die Frage, wie man mit Sexualstraftätern umgehen solle. In einem Internetforum traf ich selber letztens auf eine Gruppe, die sich mit der Forderung „Todesstrafe für Kinderschänder!“ überschrieb. Die Mitgliederzahl dieser Gruppe war beachtlich, sie ging in die hunderte.

Wut und Zorn, das ist ein Teil unserer Gefühlswelt. Der Ruf nach Gerechtigkeit durch Strafe ist menschlich, zu tiefst menschlich. Nicht zuletzt dadurch, dass er durch unser Mitgefühl für die Familien verursacht ist, die durch schlimme Verbrechen einen lieben Menschen verlieren mussten.

II.

Zorn – ein Gefühl, dass zu uns Menschen gehört. Aber gehört Zorn auch zur Denkweise Gottes. Kann der Zorn auf uns Gott zu strafendem Verhalten bewegen? Hören wir dazu unseren heutigen Predigttext. Im Buch des Propheten Jesaja lesen wir im 54. Kapitel folgende Worte:

So spricht Gott der Herr: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.

Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.

Auch Gott hatte Anlass, zornig zu sein.

Am Anfang hatte Gott die Idee, mit dem einen Menschen Abraham zu beginnen und aus ihm über einen langen Zeitraum hinweg ein Volk wachsen zu. Dieses Volk bekam den Auftrag, Gott nachzugehen und mit ihm zu leben. Doch der Weg mit Gott war mitunter beschwerlich, er führte in Gefangenschaft und Knechtschaft und viele verloren mit der Zeit den Glauben an die Ankunft im verheißenen Land. Fremde Bräuche hatten ihren Reiz, neue Lehren weckten neues Interesse, goldene Kälber waren greifbarer als ein unsichtbarer Gott. Gottes Volk verlor den Glauben daran, dass Gott alles zum Guten wenden würde. Gottes Volk verlor den Glauben an Gott.

Doch mit diesem Verhalten setzte das Volk selbst die Axt an seine Wurzel. Es war eine Schöpfung Gottes und ohne Gott nicht denkbar.

Gottes Reaktion ließ indes nicht auf sich warten, er wendete sich tatsächlich von seinem Volk ab.

Die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk wird in der Bibel an verschiedenen Stellen mit einem Vergleich beschrieben, der den meisten von uns heute immer weniger verständlich erscheint. Gott und sein Volk, das ist wie die erste große Liebe, der Moment, in dem es beide Seiten so richtig erwischt hat. Ein Moment, der einen in den Himmel katapultiert und schweben lässt. Umso schwerer ist der Moment – und diesen Moment werden viele von uns in schmerzlicher Erinnerung haben – wenn der Absturz kommt und die erste große Liebe so richtig in die Brüche gegangen ist. Ich weiß nicht, wie sie selber diesen Moment in ihrem Leben erlebt haben. Viele sind nach gewisser Zeit darüber hinweg, doch manche kann so etwas auch richtig aus der Bahn werfen. Und so muss es für das Volk Israel gewesen sein. Gott hatte es durch die Trennung gestraft.

Eine Reaktion aus Zorn, also eine verständliche Reaktion.

III.

Liebe Gemeinde, wenn es in einer Beziehung so richtig kracht und hinterher alles in Trümmern vor einem liegt, dann stellt sich auch immer die Frage der Schuld. Wenn wir es nicht selber tun, dann erledigen das meistens ach so tolle Freunde oder das Getratsche der Leute für uns. Irgendeiner findet sich immer, der das Stäbchen bricht. Eines steht jedoch von Anfang an fest: Schuld ist immer der andere, stets derjenige, den man nicht so gut kannte oder noch nie mochte. Man hat sich bisher nur nie getraut, dies auch zu sagen.

Und wenn wir dann den Schuldigen gefunden haben, dann hauen wir drauf. Dann geben wir alles. Dann lassen wir unserem Zorn freien Lauf. Ohne Rücksicht auf Verluste. Dann sind wir richtig Mensch.

IV.

Wir haben gehört, auch Gott hatte Grund zornig auf sein Volk zu sein. Und wenn wir dies mit unserer menschlichen Logik weiterdenken, dann hätte Gott auch allen Grund so zu reagieren, wie wir es für angemessen hielten: Indem er laut nach Strafe schreit.

Doch Gott durchbricht unsere menschliche Denkweise von Rache und Strafe. Dem Verlassen stellt er die Barmherzigkeit gegenüber, mit der er uns zurückholt und aufrichtet. Sein Zorn verschwindet in der ewigen Gnade, mit der er uns erlösen will. Er verwandelt ihn in einen ewigen Bund des Friedens. Er schwört, dass er nicht mehr über uns zürnen und uns nicht mehr schelten will. Gott lässt sich nicht von seinem Zorn leiten, sondern überwindet ihn.

Liebe Gemeinde, als ich diesen Text zum ersten Mal gelesen habe kritzelte ich meine ersten Gedanken auf ein Stück Papier. Schnell stand dort die Frage:

Haben wir das eigentlich verdient?

Gott bietet uns etwas an, das wir anderen niemals anbieten würden. Gott reicht uns die Hand, die er eigentlich wegziehen müsste. Die Hand, die wir demjenigen, der unsere Gefühle verletzt hat wegziehen würden und erst recht dem Verbrecher von vorhin.

Gründe uns zu verlassen hätte Gott genug. Denken wir nur zurück an das Ergebnis des letzten Krieges. Denken wir an Millionen von Toten. Denken wir an den Nullpunkt der Menschlichkeit, der 1945 hier in unserem Land erreicht war. Schuld haben wir genug auf uns geladen. Aber Gott hat diese Erde stehen gelassen, er hat uns aufgerichtet, Gott hat uns eine Friedenszeit geschenkt, die wir zuvor nicht kannten.

Erinnern wir uns aber auch an die kleinen Augenblicke in unserem Leben, in denen ein jeder von uns gegenüber seinen Mitmenschen und Gott schuldig wird. Augenblicke der Lüge, Augenblicke der Missachtung, Augenblicke des Hasses. Schon wieder streckt uns Gott seine Hand entgegen.

Und noch einmal: Haben wir das eigentlich verdient?

V.

Liebe Gemeinde,

vielleicht ist diese Frage auch falsch gestellt. Wahrscheinlich ist sie falsch gestellt. Vielleicht sollten wir einmal fragen, ob wir Gottes Gnade überhaupt verdienen können. Ob seine Barmherzigkeit käuflich ist.

Diese Frage ist nicht neu. Sie bewegte schon Martin Luther und machte ihn zum Getriebenen seiner selbst. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das war die Frage, die Martin Luther zur Verzweiflung trieb.

Luthers Antwort ist einfach und klar. Christus hat mich armen Sünder erlöst, er hat mich befreit. Weder ich kann mich durch gute Taten selbst erlösen, noch kann ich mich bei meiner Kirche freikaufen. Freigekauft hat mich „Christus mit seinem teuren Blut“, sagt Luther.

Der Weg ist einfach und für viele deshalb auch so schwer. Wir selbst können nichts für Gottes Barmherzigkeit tun. Wir können uns sie nicht bestellen, wir können sie nicht im Laden um die Ecke kaufen. Das sind wir nicht gewohnt. Bei uns gilt grundsätzlich die Aussage: Alles ist käuflich. Es ist nur eine Frage des Preises.

Gott kalkuliert anders. Allein der Blick auf Christus und der Glaube an ihn führt uns auf den Weg der Erlösung. Gottes Barmherzigkeit und Gnade ist und bleibt Geschenk. Wir können sie uns nicht verdienen, sie ist nicht bezahlbar. Wir müssen und dürfen auf sie vertrauen.

Liebe Gemeinde, Gott überwindet seinen Zorn durch Gnade. Er hat uns mit dem Glauben an seinen Sohn Jesus Christus eine Tür aufgestoßen, durch die wir nur hindurchgehen müssen. Gehen wir hindurch, haben wir den Raum der Gnade betreten. Wir bekommen sie, obwohl wir sie nicht verdient haben.

Ein Gedanke, der nicht in unsere Logik passt. Unsere Logik heißt: auf Zorn folgt Strafe.

Liebe Gemeinde, unser heutiger Predigttext zeigt uns den gnädigen und barmherzigen Gott, der es gut mit uns meint, auch wenn wir es nicht verdient haben.

Vielleicht trifft so ein Bild wirklich nur auf Gott zu, vielleicht hat nur er die Kraft und die Stärke, seinen Zorn zu überwinden.

Manchmal würde ich mir dies jedoch auch für uns wünschen. Ich wünschte mir, dass wir lernen, dem Schuldigen zu vergeben. Dass wir nicht stets das Prinzip „Schlägst du mich, dann schlage ich doppelt so fest zurück“ verfolgten.

Ich weiß, das ist schwer. Und ich weiß auch, dass das umso schwerer ist, je tiefer der Schmerz sitzt und je größer unsere Wut ist.

Doch das ist der Weg Gottes. Gibt es einen Grund, diesen Weg nicht zu gehen?

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Erlöser. Amen.